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Badegäste

Stepha Farkashazy, Rebekka Hochreiter, Claudia Keil, Elke Kieweg, Melanie Ludwig, Moritz Matschke, Anna Pech, Felix Pöchhacker, Robinson Stärk, Evelyn Wallner
Performances und Installationen, 2015
Experimentelle Gestaltung Wir über uns / Über die Badegäste

 Im Juni 2015 erklärten sich 10 Studierende der Experimentellen Gestaltung Linz im Rahmen des Programms „Tor zur Welt“ der Hamburger Stadtkuratorin zu Badegästen. Auf einer Grünfläche im Stadtteil Veddel rund um einen gestrandeten LKW wurde Hamburg für zwei Wochen zum Experimentierfeld für Performances und Installationen.

 Als äußerst widersprüchliches Kollektiv, bestehend aus StudentInnen (nur) ein und derselben Lehrveranstaltung, war von Anfang an die größte Herausforderung ein Format zu finden, in dem die individuellen Klein- und Großprojekte ihren angemessenen Platz finden konnten. Ob das letzten Endes geklappt hat, wird hier nicht beurteilt. Wichtig ist nur, dass man den Kontext der Zusammensetzung der Badegäste mitdenkt und diesen nicht nachträglich mittels konzeptueller Maske retuschiert.

 Die Utopie der urbanen Gemeinschaft und das Kollektiv, was keines ist. 

 Aus heutiger Sicht ist die große Divergenz unter den Studierenden das eigentliche Vehikel der Aktion. Jede benennbare kollektive Identität tendiert dazu, sich zu homogenisieren. "Badegäste" kann als der Versuch einer kollektiven Subjektivierung gesehen werden, ohne als definiertes Kollektiv aufzutreten. Die Fiktion der Strandung brachte identitäre Gewissheiten einer künstlerisch handelnden Gruppe ins Wanken. Die Konstellation war im Moment des Unfalls zufällig. Der Besatzung fehlte von Anfang an die konzeptionelle Einheit. Die vielversprechenden Blicke der Beteiligten füllten ihre Umgebung mit Erwartung. Die Verwertbarkeit der Ladung blieb bis zuletzt unbestimmt, die künstlerische Qualität des Projektes ebenso. 

 Diese Unbestimmtheit soll auch in der Frage nach der geschichtlichen bzw. dokumentarischen Verortung des Projektes thematisiert werden. Bei den Überlegungen über die Form der Verwertung des Projektes zeigte sich sehr deutlich, was davon übrig bleiben soll: Der unangenehme Zustand zwischen Gestrandet Sein und auf Rettung Wartend.

 In der Seemannssprache bezeichnet man mit dem Wort “Badegäste” jene Gäste, die bei einer Schifffahrt an Bord keine wirklichen Aufgaben übernehmen. Arbeitslose Passagiere, die über Deck flanierend mehr den Möwen ihre Aufmerksamkeit widmen als sich produktiv ins echte Geschehen einzubringen. Auch wir verstanden uns als Gäste, die eingeladen wurden, um sich einer unbestimmten Öffentlichkeit entgegenzustellen. Einerseits wurde in Veddel der LKW belebt und bespielt, andererseits wurden an ausgewählten Orten in der Stadt performative Ideen umgesetzt.

 Zwei unterschiedlich offene Öffentlichkeiten waren hier gegenwärtig. Die künstlerischen Aktionen von Seiten der Badegäste (Golfaktion, Umzugsperformance, Kaugummi kauen & kleben..) waren zwar als aktive Beteiligungen an einer echten Urbanität konzipiert, hatten aber weniger die Partizipation von Passanten und AnwohnerInnen zum Ziel, als vielmehr deren passive Rolle des belebten Hintergrunds und das eigene Experimentieren Können vor diesem. Den Aktionen stand primär ein anonymes Stadtsetting gegenüber, was meist für einen reibungslosen Ablauf sorgte. Interaktionen mit BewohnerInnen bzw. andersartige urbane Erzählungen fanden währenddessen nur begrenzt statt. Im Gegensatz dazu war man auf der Veddel viel mehr einer unbestimmbaren Öffentlichkeit ausgeliefert. Das „Badegäste-sein“ auf der Wiese vor dem LKW war diskursiv, komisch und anstrengend. Die Ursache dafür war nicht der Ort, sondern das Fehlen eines offensichtlich künstlerischen Gestus. Die ständige Konfrontation auf sozialer und künstlerischer Ebene ließ hier ungeplant etwas entstehen, was den an anderer Stelle geplanten Performances oft fehlte. Auch wenn das Tun und Machen im und am gestrandeten LKW performativ angegangen wurde, war das Projekt an dieser Stelle nicht am stärksten, weil wir so gute PerformerInnen waren, sondern weil jeder mit dem Vorhaben des performativen Alltags überfordert war. Die große Unsicherheit, mit der sich jeder an seine Bierflasche klammerte, war in performativer Hinsicht der überzeugendste Akt. Die intensivste Erfahrung für die meisten Badegäste lag wahrscheinlich im Versuch, performativ zu warten, zu essen, zu schlafen und aufzuwachen. 

 In diesem experimentellen Setting haben wir mit uns selbst vor Ort lebend die Frage nach den Arbeitsbedingungen und Zielsetzungen künstlerisch tätiger Subjekte im öffentlichen Raum gestellt. Heute stellt sich diese Frage immer noch, jedoch mit einer kleinen Gewissheit an der Seite: Der zum Teil unangenehme Schwebezustand zwischen GastgeberIn und Gast Sein schuf ein vielschichtiges Gefüge sozialer und asozialer Momente, die zum Teil gehasst und zum Teil sehr genossen wurden und im Nachhinein als die essentiellen Momente des Projektes benannt werden können. Die Aktion befreite sich währenddessen selbst vom Traum einer gelingenden Partizipation. Die Grünfläche in Veddel zwischen Straße und Gehsteig war für uns ein Ort des performativen Daseins voller Widersprüche. In etwa das, was wir uns unter Urbanität vorstellen. Im Rahmen der Lehrveranstaltung von:
Fahim Amir In Zusammenarbeit mit:
Stadtkuratorin Hamburg und zahlreichen Gästen vor Ort Blog zum Projekt
"Badegäste" Performances und Installationen, Hamburg, 2015
"Badegäste" Performances und Installationen, Hamburg, 2015